Zweimal die Achte
Im Jahr 2025 habe ich Bruckners monumentale Achte Symphonie gleich zweimal in der Spätfassung aufgenommen: einmal auf der beeindruckenden Cavaillé-Coll-Orgel in der einstigen Benediktinerabteikirche Saint-Ouen in Rouen, in meiner eigenen Orgeltranskription, und anschließend mit der Philharmonie Festiva beim Ebracher Musiksommer im Rahmen meiner Gesamteinspielung aller Bruckner-Symphonien in sämtlichen Fassungen.
Dabei stellte sich mir die Frage, ob mein Spiel auf der Orgel meine Interpretation der Symphonie mit dem Orchester beeinflusst hat. Und ich kann mit Sicherheit sagen: Ja, es hat mich beeinflusst!
Woran lässt sich das festmachen? Vor allem an der Klarheit und Stringenz meiner Herangehensweise. Irgendwie hat die Orgel etwas Zwingendes und lässt nicht mehr so viel Freiraum. Und gerade das ist bei Bruckner von Vorteil. Viele der traditionellen Interpretationen, wie ungerechtfertigte Rallentandi, übermäßige Rubati oder scheinbar willkürliche Temposchwankungen, passen meiner Meinung nach nicht gut zu seiner Musik. Das präzise, dosierte Legato-Spiel, das auf der Orgel gefordert wird, hat auch meine Interpretation mit dem Orchester geprägt. Das bedeutet jedoch nicht, dass keine Artikulation und Gliederung möglich sind. Im Gegenteil: Eine schön schwingende Legato-Linie verlangt nach einem klaren Konzept und einer bewussten Gestaltung der Höhepunkte.
Immer wieder wird diskutiert, ob Bruckners Tätigkeit als Organist Einfluss auf seine Kompositionen hatte. Einige lehnen diesen Zusammenhang ab, während andere ihn durchaus sehen. Wer jedoch selbst an der Orgel spielt, wird schnell erkennen, dass Bruckners Kompositionstechnik und vor allem seine Orchestrierung an seine Erfahrungen als Organist anknüpft. Ob er dies bewusst gemacht hat, ist jedoch fraglich – das bleibt Spekulation. Parallelen zwischen seiner Orgel- und Orchestertechnik zeigen sich vor allem im gruppenweisen Einsatz von Holz- und Blechbläsern sowie der Streicher und im bewussten Vermeiden einer orchestralen Mischtechnik, wie sie etwa in Wagners Partituren zu finden ist.
Natürlich wird die Interpretation eines Musikwerks immer von vielen Faktoren beeinflusst, u. a. von der Akustik des Raumes, den Musikerinnen und Musikern sowie den Instrumenten. Die klanggewaltige Orgel in Rouen, die noch im Originalzustand von 1890 erhalten ist, hat meine Transkriptionsarbeit und meine Spielweise maßgeblich geprägt. Hier kann man das 19. Jahrhundert förmlich spüren. Meine Herangehensweise bei der Orgelbearbeitung wurde durch die prachtvolle Cavaillé-Coll-Orgel inspiriert.
Aber auch die ehemalige Zisterzienserabteikirche von Ebrach mit ihrer einzigartigen Akustik und nicht zuletzt die Musikerinnen und Musiker der Philharmonie Festiva trugen entscheidend dazu bei, dass ich meine spezifische Sichtweise entwickeln konnte.
Es war mir jedenfalls eine riesige Freude, Bruckners Achte sowohl auf der Orgel als auch mit dem Orchester zu musizieren. Diese doppelte Auseinandersetzung mit dem Werk hat mir eine noch tiefere Durchdringung des Stückes ermöglicht.
Gerd Schaller